Antapodosis 0001
Antapodosis 0001 | |
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aus dem Werk | Antapodosis |
Zitation | Liudprand, Antapodosis I, 2-4, ed. Becker 1915, S. 5f. |
zeitliche (Quellen-)Angabe | um 888 |
datiert auf | um 900 |
VerfasserIn | Liudprand von Cremona |
Abfassungsort | Frankfurt, Paxos |
Inhaltsangabe
Aus Spanien kommende Sarazenen lassen sich um 888 [um 900] in der Stadt La Garde-Freinet in der Provence nieder, plündern die umliegende Gegend und bedrohen die Bewohner.
Volltext
II. Cuius ut cunctis liquido pateat situs, quemadmodum temet latere minime reor, immo melius scire, sicut ab ipsis, qui vestri sunt tributarii regis, Abderahamen [Kalif Abd ar-Rahman III.] scilicet, potestis conicere, mari uno ex latere cingitur, ceteris densissima spinarum silva munitur. Quam si ingressus quispiam fuerit, ita sentium curvitate tenetur, acutissima rectitudine perforatur, ut neque progressionis neque reditus, nisi cum magno labore, habeat facultatem.
III. Sed oculto et, quoniam secus esse non potest, iusto Dei iuditio XX tantum Saraceni lintre parvula ex Hispania [Spanien] egressi, nolentes istuc [Fraxinetum] vento delati sunt. Qui piratae noctu egressi villamque clam ingressi Christicolas, pro dolor, iugulant locumque sibi proprium vendicant montemque Maurum villulae cohaerentem contra vicinas gentes refugium parant; spineam silvam hoc pacto maiorem et spissiorem sua pro tuitione fatientes, ut, si quis ex ea vel ramum incideret, mucronis percussione hominem exiret; sicque factum est, ut omnis praeter unius angustissimae viae aditus demeretur. Loci igitur asperitate confisi vicinas gentes clam circumquaque perlustrant. Accersitum quam plures in Hispaniam nuntios dirigunt, locum laudant vicinasque gentes nichili se habere promittunt. Centum denique tantummodo secum mox Saracenos reducunt, qui veram rei huius caperent assertionem.
IIII. Interea Provincialium, quae illis gens erat vicinior, invidia coepit inter sese dissidere, alius alium iugulare, substantiam rapere, et quicquid mali excogitari poterat facere. Sed quia pars partem, ut invidia et dolor postularant, satis sibi facere non poterant, hos quos praediximus Saracenos, non minus callidos quam perfidos, in auxilium rogat cumque his una proximum conterit. Nec iuvat solummodo proximum trucidare, verum terram fructiferam in solitudinem reddere. Sed videamus, quid iusta secundum quendam profuerit invidia, quam ita describens ait: ‘Iustius invidia nichil est, quae protinus ipsum/Auctorem rodit excruciatque animum.’ Quae cum decipere conatur, decipitur; dum extinguere molitur, extinguitur. Quid igitur? Saraceni cum suis hoc viribus minime possent, alteram alterius auxilio partis debellantes suasque copias ex Hispania semper augentes, quos primo defendere videbantur, modis omnibus insecuntur. Saeviunt itaque, exterminant, nil reliqui faciunt. Trepidare iam vicinae ceterae gentes, quoniam secundum prophetam horum unus persequebatur mille, et duo fugarunt decem milia. Et quare? ‘Quia Deus suus vendidit eos et Dominus conclusit illos.’
Übersetzung
2. Damit die Lage dieses Ortes (sie ist Dir, glaube ich, durchaus nicht unbekannt, vielmehr besser bekannt als mir, da Ihr sie von den Einwohnern selbst, die Deinem Könige Abderrahman [Kalif Abd ar-Rahman III.] Zins zahlen, erfahren könnt) jedermann anschaulich klar ist: er ist auf der einen Seite vom Meer umgeben, auf den anderen Seiten durch einen dichten Wald von Dorngestrüpp gesichert. Wer diesen betritt, wird dermaßen durch das Gewirr der Sträucher aufgehalten und von den scharfen Spitzen der Dornen durchbohrt, daß er nur mit großer Mühe vordringen oder umkehren kann.
3. Nun geschah es durch den unerforschlichen und, weil es ja nicht anders sein kann, gerechten Ratschluß Gottes, daß zwanzig Sarazenen, nicht mehr, die in einem kleinen Fahrzeug Spanien verlassen hatten, wider ihren Willen vom Winde dorthin [La Garde-Freinet] verschlagen wurden. Diese Seeräuber stiegen dort nächtlicherweile ans Land, betraten unbemerkt den Flecken, ermordeten, o Jammer! die Christgläubigen, nahmen den Ort in Besitz und richteten den Berg Maurus daneben zu einer Zufluchtsstätte ein, um daselbst vor Nachbarvölkern sicher zu sein. Damit aber das Dorngebüsch zu ihrem Schutz noch höher und dichter werde, bedrohten sie einen jeden, der auch nur einen Zweig davon abhaue, mit dem Tode durch das Schwert. So verschwanden alle Zugänge bis auf einen einzigen sehr engen Pfad. Im Vertrauen auf die Unzugänglichkeit des Ortes durchstreiften sie nun heimlich die Umgegend. Um noch möglichst viele herbeizurufen, sandten sie Boten nach Spanien, rühmten ihnen den Ort und verhießen ihnen, daß sie ihre Nachbarvölker für nichts achten. Dann kamen die Boten mit nur hundert Sarazenen zurück, die die Richtigkeit bestätigen sollten.
4. Inzwischen begannen die Provenzalen, das ihnen zunächst wohnende Volk, aus gegenseitigem Neid miteinander zu hadern, einander zu morden, zu berauben und auf alle erdenkliche Weise zu schaden. Da nun die eine Partei gegen die andere sich in ihrem Hasse und ihrer Rachsucht nicht Genüge zu tun vermochte, so rief sie die erwähnten, ebenso schlauen wie treulosen Sarazenen zu Hilfe und rieb im Verein mit diesen den Nachbarn auf. Man freute sich nicht nur, den Nachbarn umzubringen, sondern verwandelte auch sein fruchtbares Land in eine Wüste. Aber wir wollen sehen, was der Neid genutzt hat, der gerechte, wie ihn jemand nennt, der ihn folgendermaßen schildert: „Völlig gerecht ist der Neid, der unverzüglich des Neiders/eigenen Geist aufzehrt, nagend mit quälender Pein.“ Der Neid will überlisten und wird selbst überlistet; während er Vernichtung vorbereitet, geht er selbst zugrunde. Was geschah also? Was die Sarazenen mit eigener Kraft keineswegs vermocht hätten; indem sie mit Hilfe der einen Partei die andere besiegten und fortwährend neuen Zuwachs aus Spanien erhielten, setzten sie auf alle Weise denen zu, als deren Beschützer sie anfangs aufgetreten waren. Sie wüteten also, verdrängten das Volk, unterließen nichts. Schon zitterten auch die übrigen Völker in der Umgegend, denn einer von ihnen verfolgte nach den Worten des Propheten tausend, und zwei jagten zehntausend in die Flucht. Und warum? Weil ihr Gott sie verkaufte und der Herr sie einschloß.
Hinweise zur Übersetzung
Liudprand von Cremona, Antapodosis I, 2-4, in: Quellen zur Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit, bearb. von Albert Bauer – Reinhold Rau (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 2002, S. 244-495, S. 251ff.
Anmerkungen
Die zeitliche Quellenangabe ist in dieser Textstelle nicht explizit genannt, sie wird aber aus dem Berichtszeitraum der Antapodosis [888-950] ersichtlich, vgl. hierzu Joseph Becker, Einleitung, in: MGH SS rer. Germ. [41], Hannover – Leipzig ³1915, S. XVII.
Weitere Quellenstellen
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Zitierhinweis